Samstag, 5. Oktober 2013

Regen

 
 
Vorgestern war wunderschönes Herbstwetter, klar sonnig, einfach traumhaft.  
 
Heute regnet es, ununterbrochen. Es ist dunkel und düster. Ein Grund für schlechte Laune?
Nein, denn es wird nicht so bleiben. Weder das herbstliche Sauwetter noch die Sommersonne bleiben uns erhalten.  Leben auf diesem Planeten bedeutet nun mal steter Wandel. Unser Leben ist nie Stillstand. Im Grunde ist es genau das, was Leben ausmacht, ja es erst ermöglicht: Änderung. Sei es nun das Wetter, die Natur, unser Organismus oder der Ablauf unseres eigenen kleinen Lebens - alles unterliegt einem ständigen, unaufhörlichen Wandel. Leben ist Veränderung.
 
Daher ist das Wesentliche, was man besser früher als später im Leben begreifen sollte, dass sich die Dinge ändern. Es tröpfelt entweder langsam vor sich hin oder stürzt plötzlich auf uns ein. Auf jeden Fall jedoch bleibt nichts so wie es ist. Das ist banal und doch elementar. Wohl dem, der sich flexibel mit den Unwägbarkeiten arrangieren kann, der sich den Gegebenheiten anpasst, anstatt daran zu zerbrechen. Mit Anpassen ist allerdings auf keinen Fall gemeint, Ungerechtigkeiten oder Gemeinheiten hinzunehmen oder sich klein zu machen. Nein, anpassen bedeutet auch zu kämpfen, wenn die Situation es erfordert. Gemeint ist Anpassen im Sinne von sich der Realität stellen und sich nicht der Illusion hinzugeben, alles müsse so bleiben, wie ich es gewohnt bin. Anpassen heißt akzeptieren, dass sich etwas geändert hat und ich mich umstellen muss, indem ich kämpfe, ausharre, neu anfange, mir Lösungswege überlege oder einfach nur genieße und abwarte.
 
Änderungen können ja auch bedeuten, dass sich etwas eher Schlechtes/Unangenehmes zum Guten wendet. Eine Veränderung, die im ersten Moment unwillkommen oder als unbequem betrachtet wird, kann sich als echte Chance mausern. Wir sollten trainieren, Neues, Ungewohntes willkommen zu heißen, anstatt uns davor zu fürchten - auch bzw. ganz besonders - Unannehmlichkeiten und Probleme. Ein Leben ohne Schwierigkeiten gibt es nicht. Wer das erkannt hat, hadert nicht mehr mit einem regnerischen Tag, sondern nutzt ihn für Dinge, die bei Regen Spaß machen (ausschlafen, lesen, aufräumen, putzen, Kuchen backen, mit Regenschirm und Gummistiefel durch Pfützen stapfen...), nur derjenige wird einen schlechten Tag haben und sich beklagen, der den Regen nicht akzeptiert und darauf besteht, leicht bekleidet im Liegestuhl liegen zu wollen.

Vor nicht allzu langer Zeit ist meine Mutter gestorben, ganz unspektakulär. So wie sie gelebt hat, so ist sie gestorben: still und leise. Ihr Tod hat mich durcheinander gebracht. Es hat sich plötzlich etwas geändert, was ich für einen stabilen Zustand gehalten habe. Meine Eltern sind beide ziemlich alt (geworden). Selbstverständlich war mir klar, sie würden irgendwann einmal nicht mehr da sein. Und dann war es doch unfassbar, das es sie einfach nicht mehr gibt. Sie wird mir ganz bestimmt nie wieder aus dem Küchenfenster zuwinken und mich anlachen. Meine Mutter ist tot. Das hat mich aufgerüttelt. Mehr noch als bisher möchte ich ganz bewusst jeden Augenblick des Lebens auskosten.
 
Alles, wirklich alles, ist vergänglich. Auch ich werde nicht ewig auf der Party des Lebens mitfeiern, genauso wie andere mir lieb gewordene Menschen. Ich versuche das zu begreifen, vor allem aber möchte ich es akzeptieren und mich damit arrangieren. Meine Mutter, die Frau, die mir das Leben geschenkt hat, es gibt sie nicht mehr. Für mich ist das eine massive Veränderung. Ich hadere nicht damit.
 
Aber ich bin traurig, trauere um sie und ich vertraue darauf, dass andere Menschen das verstehen. Ich muss nicht so tun, als ob es mir nichts ausmacht. Meine Kinder, Freunde, Bekannte, Kollegen verstehen das und sind mitfühlend, freundlich, hilfsbereit. Das hilft, wärmt.
 
Es gibt auch die Trauer um Menschen, die zwar nicht gestorben sind, uns aber trotzdem verlassen haben. Dies ist dann meistens eine Trauer, die wir mit uns allein ausmachen müssen, weil es eine Trauer ist, die weniger öffentlich stattfindet und sie kann manchmal ebenso sehr schmerzen wie die Trauer um einen Verstorbenen. Nur wird man dann eher selten warm gehalten. Besonders schmerzlich ist es, wenn die Trennung von Streit und bösen Worten begleitet war.
 
Ein Abschied, warum auch immer er sein muss, sollte möglichst im Guten stattfinden, weil die Trauer dann nicht vergiftet ist. Liebevolle Trauer ist eingebettet in schöne Erinnerungen, vergiftete Trauer belastet und lässt uns schwer zur Ruhe kommen.
 
Abschied und Tod, das sind Veränderungen, mit denen wir leben müssen. Sie tun weh. Sie tragen dennoch auch die Möglichkeit auf positive Veränderungen in sich, selbst dann, wenn wir uns das zunächst nicht vorstellen können. Alles ändert sich und alles kann besser werden, wir dürfen uns nur nicht den Veränderungen entgegenstellen. Das kostet unnötig Kraft, die viel besser dafür verwendet werden kann, etwas Neues aufzubauen. Nicht den Fluss des Lebens aufstauen, sondern sich von ihm treiben lassen und darauf vertrauen, dass nach Untiefen oder starken Strömungen,  nach der nächsten Biegung ganz gewiss doch wieder ruhiges Gewässer auf uns wartet.
 
Es regnet noch immer und es ist gut so.
Ich freu mich auf die Sonne, wann immer sie wieder scheinen mag.
 
 

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